Ein Land von Skibauern - NZZ - 4.1.2023 - Seite 14
Müllerski: nicht nur für Freaks
Es soll Menschen geben, bei denen Autos Emotionen auslösen. Mit Ski verhält es sich genauso. Und schon sind wir bei Raphael Müller. Seine Leidenschaft fürs Skifahren und fürs Material, das man dazu braucht, hat etwas Ansteckendes. Wer den Zürcher Oberländer im Ladenlokal von Müllerski trifft, vergisst bald einmal, dass man sich in einem versteckten Winkel einer Industriezone in Wetzikon befindet – und wähnt sich stattdessen beim Carven auf einer perfekt präparierten Piste.
Müller, 47, fuhr einst FIS-Rennen, später förderte er den regionalen Skinachwuchs. Er lernte Maurer und Hochbauzeichner, war Bauleiter, studierte soziokulturelle Animation, ist heute in Teilzeit als Jugendarbeiter tätig. Mit 14 baute er ein Snowboard, 2003 verschrieb er sich dem Skibau, seit gut acht Jahren verkaufen er und seine Frau Marisa ihre Müllerski. (Mit dem renommierten früheren Langlaufski-Hersteller Edi Müller haben diese Müllers nichts zu tun.)
«Meine Verkaufsstellen sind die Skitests, die wir organisieren», sagt Raphael Müller, «Laufkundschaft habe ich hier keine.» Wer in einem Skigebiet Müllerski ausprobiert, wird vom Chef oder von einem seiner Teamfahrer begleitet. Zur Crew gehören elf Leute, «neun Männer und zwei Frauen, zwischen 24 und 57 Jahre alt, ehemalige Rennfahrer, ausgebildete Skilehrer – und zwei, die sonst geil Ski fahren», wie Müller sagt.
Seine Ski seien Performance-orientiert, aber Müller widerspricht der Schlussfolgerung, dass sie sich wohl primär für wahre und Möchtegern-Rennfahrerinnen und -fahrer anbieten. «In unserer Produktepalette hat es für jede und jeden etwas, auch wer weniger gut fährt, hat mehr von einem solchen Ski als von irgendeiner Gurke.»
Müllers Kapital ist das eigene Wissen, das sich in all den Jahren angesammelt hat, plus das Schwarmwissen seiner Equipe. Wichtig ist ihm etwa, dass die Käuferinnen und Käufer auch in Sachen Schuh und Bindung optimal ausgerüstet sind. Schuhe und Bindungen bezieht er von einer grossen Marke. Zum Paket gehört aber auch die passende Bindungsplatte aus dem breiten Sortiment müllerscher Eigenentwicklungen – und ein individuell abgestimmter Handschliff.
Pro Jahr kommt Müller auf 100 bis 120 Paar, die er zum Einheitspreis von 2200 Franken (inklusive Bindung und Platte) verkauft. Erhältlich sind die Ski bei ihm selber sowie in einem Sportgeschäft in Brigels, wo die vierköpfige Familie Müller jeweils ihre Skiferien verbringt. «Es wäre cool, wenn wir es in weitere Läden schaffen würden», sagt Müller.
Leben können die Müllers nicht von ihren Ski, auch Marisa Müller hat noch einen anderen Job. Die Werkstatt befindet sich im Stall, der zu ihrem Haus gehört, das Lager im Elternhaus von Raphael Müller. Für die Produktion mietet er sich bei Skiherstellern im benachbarten Ausland ein. Wo genau, mag er nicht verraten. Es gibt noch andere Betriebsgeheimnisse, Müller ist vorsichtig geworden, immer wieder kursieren in dieser Szene Geschichten von gestohlenem Know-how.
Müller sagt, eine Skipresse, wie er sie brauche, koste eine Viertelmillion. Das übersteigt seine Möglichkeiten. Und er sagt, frei von jeglicher Romantik, die seiner Selfmademan-Geschichte innewohnt, es käme ihm auch sonst nicht in den Sinn, seine Ski mit einem Schweizerkreuz zu versehen. «Die Rohstoffe kommen von überallher. So gesehen gibt es keinen einzigen Schweizer Ski.»
Die Müllerski-Fahrerinnen und -Fahrer bilden eine Community. «Ich kenne praktisch jeden Käufer mit Namen», sagt Raphael Müller. Er bietet Wachs- und Schleifkurse an, damit die Kundschaft das Material fachgerecht pflegen kann. Und während des Besuchs im Ladenlokal schleppen Marisa Müller und die beiden Kinder einen Christbaum an – für den Weihnachtsapéro am Tag vor Heiligabend.
Zum gesamten Bericht:
Schälli
Hammer bricht! Starch! Wiiter so!